Der Bierschaum (1/2):

(Grundlagen, Physik & Chemie der Schaumkrone)

Februar 03, 2021
Martin Öfele

Martin Öfele

Im ersten Teil über unseren schönen Bierschaum werden folgende Schwerpunkte geklärt:
Schaumbildung, Haltbarkeit und Zerfall
✓ Allgemeine Grundlagen der „Schaumphysik“
✓ Schaumnegative und schaumfördernde Substanzen (Bierinhaltsstoffe und externe Stoffe)

Der Bierschaum

Schaum des Bieres: Qualitätsmerkmal & Ästethik pur

Eine einwandfreie Schaumbildung und Schaumhaltbarkeit wird oft als das entscheidende Merkmal schlechthin für ein Qualitätsbier gesehen. Tatsächlich haben wir der guten Schaumkrone viele positive Biereigenschaften zu verdanken: Sensorisch trägt ein exzellenter Schaum zu einer angenehmen Vollmundigkeit und Rezenz bei. Zweiteres verdanken wir der Fähigkeit, dass der immobilisierte Gaspolster die Ausgasung des gebundenen Kohlendioxids verhindert und weiterhin vor anderen Umgebungseinflüssen schützt. Auch beim Servieren eines eingeschenkten Bieres wird die Wellenbewegung um ganze 10 % reduziert, was das Bier transportfähiger macht. Nicht schlecht. Bierschaum ist nach wie vor jedoch ein Kriterium, das von Land zu Land anders gewertet wird. Während in Deutschland (vor allem in Bavaria) eine anständige Schaumkrone als Qualitätsmerkmal angesehen wird, wird in England das Bierglas randvoll gefüllt und der Schaum abgestrichen. Andere Länder, andere Schaumkultur eben.
Im Folgenden möchten wir uns außer den sensorischen auch den biochemischen & physikalischen Aspekten des Bierschaumes widmen. Vor allem für Brauer gibt es hier vieles zu beachten. Welche technologischen Maßnahmen beim Brauen nun tatsächlich eine bessere Schaumstabilität versprechen, damit beschäftigen wir uns im zweiten Teil der Schaumrubrik. Eins steht fest: Einiges hat die Schaumkrone auf jeden Fall zu bieten!  

Der Bierschaum

Wie entsteht Bierschaum? Die Schaumphysik

Bevor wir einige schaumpositive/-negative Bierinhaltsstoffe genauer durchgehen, ist es hilfreich, kurz auf die simplen physikalischen Vorgänge des Bierschaums einzugehen. Hierzu schauen wir uns die Vorgänge der Schaumbildung, Schaumhaltbarkeit und die des Schaumzerfalls an. WIr schaffen uns also erst einen groben Überblick zur Schaumkrone und gehen dann etwas tiefer in die Materie.

1) Schaumbildung

Wie wir wissen, ist Schaum nichts anderes als ein disperses System. Eine disperse Phase (CO2) liegt fein verteilt in einem Dispergens (Bier) vor. Wie der Schaum aber nun ensteht? Die eigentliche Schaumbildung erfolgt z.B. beim Einschenken des Bieres. Durch den Druckabbau von CO2 beim Auftreffen auf den Glasboden, auf das Bier oder auch durch das reine Öffnen der Bierflasche wird das Lösungsgleichgewichtes des CO2 überschritten (Druckänderung!) und geht in den freien, gasförmigen Zustand über.
Die entstandenen CO2-Bläschen und die mitgerissene Luft reichern sich beim Aufsteigen an ihren Grenzflächen mit sogenannten „oberflächenaktiven Stoffen“ an (schaumpositiv). Diese Substanzen sind sehr hydrophob (wasserabweisend) und haben eine relativ geringe Oberflächenspannung. Sie bilden somit eine elatsische Schicht, machen die Schaumbläschen kleiner und erzeugen somit einen feinporigen und stabilen Schaum.

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Bierschaum ensteht meist beim Zapfen //
Bild: DBB, Berlin

Auch der Kohlensäuregehalt des Bieres ist logischerweise für die Bildung des Schaumes essentiell. Ein im Bier zu hoher CO2-Gehalt hat jedoch eine ziemlich drastische Entbindung der CO2-Blasen zur Folge, bei der dir Bläschen zu schnell platzen. Zu viel ist also wenig förderlich.

Bierschaum
Die Schaumhaltbarkeit als ein anerkanntes Qualitätsmerkmal //Bild: DBB, Berlin

2) Schaumhaltbarkeit

Noch wichtiger als die Schaumbildung ist vielmehr die tatsächliche Schaumhaltbarkeit. Wie bereits erwähnt, reichern sich die Gasbläschen beim Aufsteigen in der Flüssigkeit an ihren Grenzflächen mit sogenannten „oberflächenaktiven Stoffen“ des Bieres an. Es ist vielmehr die Fähigkeit dieser Stoffe, die Grenzflächenspannung zwischen Gasblasen und Flüssigkeit zu senken. Die Haut der CO2-Bläschen wird somit elastischer, die Bläschen werden kleiner und die spezifische Oberfläche wird größer. In einem Glas Mineralwasser oder Cola kann sich bekannter Weise kein haltbarer Schaum ausbilden, da dort nun mal solche Stoffe nicht vorhanden sind! Zu verdanken haben die schaumhaltenden Substanzen das alles u.a. ihrer hydrophoben (wasserabweisenden) Eigenschaften.

Erst so können sie an den Phasengrenzen ihre Oberfläche vergrößern und somit die elastische Hülle um die Gasblase (CO2) bilden. So entsteht schließlich ein langlebiger und dichter Bierschaum, der sich leider nur temporär hält…

3) Schaumzerfall

Der Schaumzerfall beginnt mit der sogenannten Drainage. Der zwischen den Schaumlamellen befindliche Bierfilm fließt aufgrund der Schwerkraft wieder zurück ins Bier, was im Wesentlichen von Temperatur und Viskosität des Bieres abhängt. Auch kann diese Zerstörung des Flüssigkeitfilms (Koaleszenz) durch schaumnegative Inhaltsstoffe gefördert werden. Dazu aber gleich mehr.
Genau dieser Schwand des Flüssigkeitfilms ist es, was den endgültigen Schaumzerfall einläutet.

Bierverkostung
In England sind Schaumkronen nicht einmal erwünscht

In der Folge kommt es beim nun verfestigten Bierschaum zu einer Vergröberung und somit zu einem Platzen der Schaumblasen. Genauer gesagt kommt es zu einer Diffusion von Gasen zwischen den Schaumblasen. Kleinere verschwinden und ungünstig größere bilden sich aus (Disproportionierung), wobei es zum Platzen kommt.
Hier nochmal Schritt für Schritt:

Der Bierschaum

Woher kommt guter Schaum? Die Substanzen

Jetzt bleibt natürlich auch noch die Frage, mit welchen brautechnologischen & biochemischen Aspekten der Brauer letzten Endes einen einwandfreien Schaum abzielen kann. Bevor wir aus dieser Frage Rückschlüsse auf die Braupraxis ziehen, lohnt sich zunächst ein Blick auf alle schaumrelevanten Substanzen. Denn wie wir gesehen haben, wird neben den physikalischen Effekten der Schaumbildung die Schaumhaltbarkeit biochemisch durch eine Reihe von Bierinhaltsstoffen maßgeblich beeinflusst, sowohl positiv (schaumpositive Inhaltsstoffe) als auch negativ (schaumnegative Inhaltsstoffe).

a) Schaumpositive Substanzen

Wie wir wissen, sind das jene oberflächenaktive Stoffe, die elastische Membrane um die Gasblasen bilden und somit erst den feinporigen Schaum überhaupt erst ermöglichen. Aber auch Stoffe, die die Viskosität des Bieres erhöhen, können im Allgemeinen als schaumfördernd gesehen werden. Zwei Effekte, die dem Biertrinker eine ansehnliche Schaumkrone versprechen sollen. Woran das liegt, klären wir nun anhand einiger Beispiele:

Schaumpositive Substanzen

Kohlendioxid // hochmolekulare Stickstoffsubstanzen (Eiweiße) // Hopfenbitterstoffe // Polyphenole // Glykoproteide // Melanoidine (Röststoffe) // Gerstengummistoffe

Wie wir in der Schaumphysik gesehen haben, spielt vor allem der CO2-Gehalt eine wichtige Rolle. 5 g/l Bier wären hierbei eine grobe Richtlinie, die je nach Gebindeart (Dose, Flasche KEG) anzupassen ist, jedoch in jedem Fall ein schaumpsoitver Wert ist. Nicht zu viel, nicht zu wenig ist die Devise.
Die jedoch bekanntesten und zugleich wichtigsten Vertreter der schaumpositiven Inhaltsstoffe sind nach wie vor die hochmolekularen Proteine (10 – 40 kDa). Die Molekülgröße in Verbindung mit einer hohen Hydrophobizität (wasserabweisend) sind hierbei die ausschlaggebenden Eigenschaften. Daraus lässt sich ableiten, dass vor allem das Verhältnis zwischen höher-/niedermolekularen Proteinen im Bier wichtig ist.

Da die Hefe jedoch für die Gärung auch Aminosäuren braucht, sollte bei der Eiweißlösung aufgepasst werden. 39-42 %, so passt erfahrungsgemäß der Eiweißlösungsgrad, sodass sowohl genug für die Hefe (Aminosäuren) aber auch für unsere Schaumkrone (hochmol. Eiweiße) vorhanden ist. Gerade bei den modernen „überlösten“ Gerstensorten sind allzu lange Eiweißrasten (45-55 °C) deshalb zu vermeiden, um die hochmolekulare Eiweißfraktion im gewünschten Maße noch erhalten zu können. 

In diesem Konzept sei auch auf den positiven Effekt von sogenannten „Glykoproteiden“ hingewiesen. Das sind Proteine, die kovalent an Kohlenhydraten gebunden sind (längere >72 °C Rast!), die die Viskosität der oberflächenaktiven Eiweiße erhöhen und somit überaus schaumpositive Eigenschaften besitzen. Womit die Viskosität im Schaumkontext noch zusammenhängt, dazu kommen wir in der letzten Stoffgruppe.   

Auch die Stoffgruppe der Hopfenbitterstoffe, Melanoidine (Röststoffe, die beim Malzdarren ab 90 °C entstehen) und Polyphenole (Malz und Hopfen) sind zwar oberflächenaktiv und auch schaumfördernd, vermögen jedoch keinerlei Bildung einer elastischen Hülle um das Gas. Vielmehr ist es die Komplexbildung mit vorher beschriebenen Eiweißstoffen, die die eigentlichen schaumpositiven Eigenschaften hervorrufen. Infolge der Quervernetzung über hydrophobe und Dipolwechselwirkungen werden die geformten Grenzflächen (zwischen CO2 und Bier) verstärkt und der Schaum wird haltbarer. Eine langlebige Schaumkrone ist die Folge. Außerdem: Die Melanoidine sind u.a. der Grund, dass dunkle Biere von Haus aus eine etwas bessere Schaumkrone besitzen.

Auch eine letzte Stoffgruppe vermag die Schaumstabilität des Bieres maßgeblich zu beeinflussen, wobei das nur als eine positive Begleiterscheinung zu werten ist, da diese Stoffgruppe aufgrund von möglichen Filtrations- und Läuterproblemen im Normalfall zu vermeiden gilt. Es sind natürlich die ß-Glucane & Pentosane (Gersten-Gummistoffe), die durch viskositätserhöhende Eigenschaften schaumpositiv wirken. Die Folge dieser Viskositätserhöhung:
a) Eine langsameres Aufsteigen der CO2-Bläschen und somit eine verstärkte Anreicherung mit oberflächenaktiven Stoffen (siehe oben)
b) Einhüllung & Stabilisierung der gebildeten Eiweiß-Polyphenol-Komplexen an den Grenzflächen

Der "perfekte" Schaum? Eine Wissenschaft für sich!

b) Schaumnegative Substanzen

Der Zerfall des Bierschaumes wird generell durch Substanzen gefördert, die
– entweder aufgrund ihrer Hydrophobizität schaumpositive Substanzen von der Gasblasenoberfläche verdrängen, ohne selbst einen stabilen Film bilden zu können
– oder die Oberflächenspannung des Bieres herabsetzen
Zwei Phänomene, die es zu untersuchen gibt:

Der prominenteste Vertreter dieser Kategorie sind die Lipide. Genauer gesagt sind es vor allem die Mono- und Diglyceride, die nach dem Abbau der Lipide durch Lipasen bei tieferen Einmaischtemperaturen entstehen und Ihre schaumnegative Wirkung entfalten. Je nach Malzqualität, mangelhafter Brautechnolgie (tiefe Einmaischtemperaturen) oder auch durch verwendeter Biergläser nach unsachgemäßer Reinigung (Lippenstift, Fingerabdrücke o.ä.) können Lipide/Fettsäuren in erhöhter Konzentration in das Bier gelangen und entfalten Ihre schaumnegativen Eigenschaften. Sie verdrängen durch Ihre Hydrophobizität andere schaumpositive Substanzen (z.B. Eiweißstoffe) von der Gasblasenoberfläche, ohne selbst einen solchen stabilen Film bilden zu können. Neben den Lipiden können auch die bei der Gärung entstandenen, niedrigen freien Fettsäuren (C6−C12) Ursache für schaumnegative Effekte sein.

Schaumnegative Substanzen

Lipide // zu hohe Kohlendioxid Gehalte // Reinigungs- und Desinfektionsmittel // Alkohol // hochmol. Polyphenole // Gärnebenprodukte // Hohe Aminosäuremengen

Auch Reinigungs- und Desinfektionsmittel könnten die Oberflächenspannung des Bieres herabsetzen und somit schaumzerstörend wirken. Hierbei sei auf einen ausreichenden Spülprozess während des CIP-Programmes hingewiesen, wobei am Wasser nicht allzu sehr gespart werden sollte.

In Ergänzung dazu gelten auch diverse Bierinhaltsstoffe ab einen bestimmten Schwellenwert als schaumnegativ. Gerade bei Bieren mit hohem Ethanolgehalt (Starkbiere) wird oft über Schaumprobleme berichtet. Die Drainage von Bier (Abfließen der Flüssigkeit durch die Schwerkraft) und damit auch der Zerfall des Schaumes (siehe oben) wird dadurch beschleunigt. Auch hochmolekulare Polyphenole, Gärnebenprodukte und zu große Mengen kurzkettiger Eiweiße (Aminosäuren) wirken schaumnegativ, indem sie schaumfördernde Substanzen von den Grenzschichten verdrängen und den weiteren Zerfall beschleunigen

Zum Nachschlagen

Literatur

Kunze: Technologie Brauer & Mälzer

2011, 10. Auflage, VLB, Berlin, S. 540 ff. und S. 864 - 867

Back W.: Ausgewählte Kapitel der Brauereitechnologie

2008, 1. Auflage, Carl Hans Fachverlag, S. 174 - 183

Narziß L.: Abriss der Bierbrauerei

2017, 8. Auflage, WILEY-VCH Verlag, Weinheim, S. 369 - 372

Annemüller G. und J. Manger: Gärung und Reifung des Bieres

2013, 2. Auflage, VLB Berlin, S. 84 ff. und S. 582 ff.

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