Bier and more
Gushing:
Erklärung und Beeinflussung
Juli 27, 2022
Bild: HSWT, https://forschung.hswt.de/forschungsprojekt/339-gushing
Martin Öfele
Im heutigen Artikel über das Gushing Phänomen werden folgende Punkte erläutert:
✓ Begriffserklärung Gushing
✓ Primäre und sekundäre Faktoren von Gushing
✓ Technologische Beeinflussbarkeit im Brauprozess
Gushing: Begriffsdefinition
„Das Gushing-Phänomen ist durch die Tatsache geprägt, dass sofort nach dem Öffnen der Flasche, d. h. durch eine Druckentlastung des Gasraumes über dem Bier eine sehr große Anzahl von kleinen Blasen, die im gesamten Flüssigkeitsraum verteilt sind, entsteht. Diese steigen sehr schnell auf, erzeugen Schaum, der sodann aus der Flasche entweicht oder in wilderen Fällen regelrecht aus der Flasche sprudelt. In der Regel endet diese Erscheinung nach wenigen Sekunden.“ (GJERTSEN, 1967)
Das altbekannte Phänomen des „Gushings“ (engl.: „to gush“: herausströmen, hervorsprudeln) beschreibt das ungewollte Überschäumen des Bieres aus dem Behälter. Nicht nur Biere, auch Champagner, Schaumwein, Cider und nicht-alkoholische Erfrischungsgetränke sind davon betroffen. Im Brauwesen wird dabei zwischen dem primären (Rohstoffeinflüsse) und dem sekundären (technologisch bedingt) Gushing differenziert. Sprich, die Ursachen liegen tatsächlich nicht nur im unsachgemäßen Öffnen der Flasche. Neben den chemisch-physikalischen Vorgängen beim Gushing soll kurz auf einzelne Ursachen und deren Lösung eingegangen werden.
Vorgänge bei der Druckentlastung
Laut dem Henry’schen Gesetz liegt nach ausreichender Zeit in einem geschlossenen System (hier: geschlossene Getränkeflasche oder -dose) ein Gleichgewicht zwischen den in der Flüssigkeit gelösten und den in der Gasphase vorhandenen Molekülen ein. Wird dieses geschlossene System zerstört (Druckentlastung durch Öffnen der Flasche), so bricht das thermodynamische Gleichgewicht zusammen. Daraufhin dehnen sich die Gasreste in der Flüssigkeit gemäß dem Boyle-Mariott’schen Gesetz schlagartig aus (siehe Gleichung):
Boyle-Mariott’sches Gesetz (für T, n = const.): p x V = const.
Laut dieser Gleichung muss bei einem Druckabfall das Volumen der Blasen anwachsen, was für eine Vergrößerung der Oberfläche sorgt. Ganz wichtig: Die Geschwindigkeit dieses Anwachsens hängt von dem Radius ab, da durch einen größer werdenden Radius die Oberflächenspannung sinkt. Sprich je größer bereits die Mikroblasen sind, desto rascher passiert der rasche Volumenanstieg.
1) Bei ruhender Flüssigkeit ohne Gushing verstärkende Faktoren hält sich der Volumenanstieg in einem vertretbaren Rahmen, da die Mikroblasen einen kritischen Radius noch nicht überschritten haben.
2) Um Phänomen des Gushings kommt es, wenn genügend stabilisierte Mikroblasen (siehe Faktoren) mit kritischem Durchmesser vorliegen, d. h. sie eine Größe haben, dass sie beim Öffnen der Flasche durch den Druckabfall stark anwachsen. Sie steigen nach oben und wirken als Grenzzone, in der Kohlensäure aus der Flüssigkeit zu gasförmigen CO₂ entbindet. Wächst die Blase an, so zerreißt folglich die Blasenhaut und die Mikroblase wächst während ihres Aufstiegs zur Flüssigkeitsoberfläche weiter an. Die so wachsende Phasengrenzfläche gasförmig/ flüssig begünstigt den Stoffübergang von CO₂ aus der Flüssigkeit in die Blase, sodass eine Eigenverstärkung eintritt (GUGGENBERGER, 1963). Als relativer Vergleich: Nach LIGER-BELAIR bedeutet ein Aufstieg einer Blase im Champagner von 10 cm eine fast millionen-fache Vergrößerung des Volumens (von 10 μm auf 1 mm). Im Bier ergibt sich durch den geringeren CO₂-Gehalt eine etwa um eine Potenz geringere Vergrößerung
Primäre Faktoren des Gushings: Rohstoffspezifische Ursachen
Wie bereits bekannt ist, kommt Gushing je nach „Bier-Jahrgang“ öfter oder seltener vor. Bereits in früheren Fachartikeln wurde ein Schimmelpilzbefall der Gerste als Auslösefaktor für das später als primär bezeichnetes Gushing in Betracht gezogen. Welche Punkte hierbei die genauen Auslöser sind, soll im Folgenden kurz beschrieben werden.
Nicht-spezifischen Lipid Transfer Proteinen (ns-LTPs)
Laut einer wissenschaftlichen Arbeit von HIPPELI antwortet das Getreidekorn bei einem Schimmelbefall wie etwa durch Fusarien im Rahmen einer Abwehrreaktion mit einer vermehrten Produktion von nicht-spezifischen Lipid Transfer Proteinen (ns-LTPs). Die Problematik dahinter ist, dass diese Proteine ausreichend thermostabil und enzymresistent sind. Sprich weder im Mälzungs- noch im Brauprozess können sie zur Genüge abgebaut werden und gelangen ins fertige Bier, wo sie Gushing auslösen. Jedoch wurde das Überschäumen nicht auf die native Form, sondern auf die Abbauprodukte der ns-LTPs und anderer Proteine zurückgeführt. Thermostabile Proteasen (Enzyme), die ebenfalls von den Stämmen ausgeschieden werden, sind für den Proteinabbau verantwortlich.
Hydrophine
Auch Hydrophine können Ursache für ein vermehrt auftretendes Gushing sein. „Hydrophobine“ sind kleine, oberflächenaktive Proteine, die als Monomere von verschiedenen Fadenpilzsorten ausgeschieden werden. Durch ihren amphiphilen Charakter lagern sie sich an hydrophoben-hydrophilen Grenzflächen an (an den Mikroblasen), wo sie einen etwa 10 nm dicken Film bilden. Dieser ist belastbar und senkt die Oberflächenspannung. PELLAUD kam zu dem Schluss, dass Hydrophobine die einzigen nachgewiesenen Stoffe sind, die allein Gushing sogar in karbonisierten Wasser auslösen können. Dadurch sind hohe Fusariengehalte bei der Ernte ein Indikator für ein hohes Gushing-Risiko. Fusarien befallen das Korn zwar bereits auf dem Feld, doch entwickeln sie sich ungleich mehr beim Mälzen. Durch die Spelzen hat die Gerste von Natur aus einen größeren Schutz gegenüber einer Infektion als der Weizen.
Da die Mykotoxine das Korninnere rot färben, ist es eine wichtige Aufgabe der Mälzerei und Brauerei, genau das zu kontrollieren. Durch Handbonitur oder dem modifizierten Carlsberg-Test kann somit das Gushing-Potential des Malzes herausgefunden werden.
Hopfenbestandteile
Auch Hopfen kann ein primärer Gushing-Faktor sein. Sowohl Gushing-Promotoren als auch -Inhibitoren können hierbei vorhanden sein. Die bedeutendsten Promotoren sind Oxidationsprodukte von Hopfenharzen. Das sind die Bitterstoffe (Bittersäuren), die beim Würzekochen isomerisieren und schließlich den herb-bitteren Geschmack im Bier ausmachen. Falls diese durch Sauerstoffeinfluss und damit durch Oxidationsreaktionen umgewandelt werden (z.B. a-Säure in dehydrierte Humulinsäure), konnte ein Gushing verstärkender Einfluss dieses Stoffes in Versuchen von OUTTRUP festgestellt werden.
Sekundäre Faktoren des Gushings: Herstellungsspezifische Ursachen
Die Entstehung von Blasen, die die Basis für weitere Gushing-Phänomene darstellen, findet u. a. Faserhohlräume oder Partikeln innerhalb der Flüssigkeit. In Bierflaschen können sich Gasreste an Fremdkörpern wie Glassplittern oder Papierfasern aufhalten. Fand in Flaschen z.B. Glaskorrosion durch Reinigungsmittel statt, können an diesen Stellen Blasenbildungen und damit auch das Gushing begünstigt werden.
Daher haben alle sekundären Faktoren die Gemeinsamkeit, dass durch eingebrachte Partikeln im Brauprozess eine CO₂-Entbindung und damit eine Blasenentstehung die Ursache für das Gushing ist. Im Folgenden sind die wichtigsten Faktoren erläutert:
Calcium-Oxalat
Calcium und Oxalsäure gelangen durch Malz, Brauwasser und Hopfen in die Würze (siehe Abbildung) und bilden eine Ca-Ox Bindung. Wird beispielsweise die Löslichkeitsgrenze für Calcium-Oxalat überschritten, so wird es in verschiedenen Formen (Kristalle oder amorphe Körper) auftreten. Haften an diesen Partikeln Gasreste durch Lufteinschlüsse, so können diese als sogenannte „Kondensationskeime“ wirken. Das bedeutet eine Vergrößerung der Mikroblasen.
Um eine Ausfällung von Calcium-Oxalat nach der Filtration zu vermeiden (Kristalle in der Bierflasche), was ein Gushing Promotor darstellen würde, muss eine vorherige Ausfällung von Calcium-Oxalat durch entsprechende Konzentrationen an Calcium vom Brauer forciert werden.
Die Ca-Gehalte können unter Verwendung von Calciumchlorid (CaCl2) oder Calciumsulfat (Braugips) (CaSO4) im Rahmen der Wasseraufbereitung sichergestellt werden.
Filtermittelrückstände
Auch Filtermittel, die zur Entfernung feinerer Protein- und Polyphenolrückstände dient, können für ein potenzielles sekundäres Gushing verantwortlich gemacht werden. Genauer gesagt Filtermittelrückstände, die ungewollt im Bier verteilt sind. Während Aktivkohle, Kieselgur und Perlite als kritisch zu betrachten sind, verhielten sich PVPP, Zellulose und Xerogel in Versuchen weitestgehend unauffällig. Gerade bei liegend gelagerten Flaschen wäre in diesem Szenario die Gushing-Gefahr stark erhöht, da sich mit der Zeit kritische Partikel ausfällen und an der unteren Flascheninnenwand absetzen.
Metall-Ionen im Brauwasser
Aus dem Bereich des Brauwassers entspringt ein weiterer Punkt, der im Rahmen der Ursachenanalyse wichtig ist. Auch Metallionen in einer Konzentration von wenigen ppm kann bereits Gushing-fördernd sein. Genauer gesagt stehen Zinn, Titan, Nickel, Eisen und Molybdän unter dem Verdacht, durch verschiedene Mechanismen ein Überschäumen des Bieres zu verursachen. Genauer gesagt führen hauptsächlich Eisenhydroxid (Fe(OH)3) und die Bildung von Fe3+-Carbonaten im Bier zur Ausbildung von ausflockenden Partikeln und dadurch die Förderung von Mikroblasen.
Falls nicht ohnehin schon durch eine optimale Wasseraufbereitung (Fällung von Eisen) solche Bindungen verhindert werden, können durch eine Erniedrigung des pH-Wertes im Laufe des Brauprozesses (Maischesäuerung, vitale Hefe, usw.) Eisenverbindungen wieder freigesetzt werden. Für das Gushing ist es entscheidend, in welcher Form das Eisen (frei oder in dreiwertiger Form) vorliegt. Bei einer Absenkung des pH-Wertes kann vorhandenes Eisen zu Fe2+ reduziert werden. Substanzen, die vor oder während des Sudprozesses das Eisen binden, geben durch diese Absenkung des pH-Wertes im Gärverlauf die Bindung wieder frei.
Tipps für die Praxis: Maßnahmen gegen Gushing
– Primäres, d. h. vom Malz herrührendes Gushing, kann im Sudhaus durch einen intensiveren Eiweißabbau beim Maischen (z. B. Infusionsverfahren mit niedriger Einmaischtemperatur von z. B. 35 °C, Dekoktionsverfahren) oder durch intensiveres Würzekochen eine Verbesserung erbringen.
– Die Hopfengabe kann durch hohe Polyphenolgehalte (Aromahopfen mit entsprechendem Polyphenolniveau) Gushing verringern, da dadurch grobe Eiweißpartikel ausgefällt werden. Eine Zugabe von Hopfen im Lagertank („Hopfenstopfen“ oder auch „Kalthopfung“) kann durch den damit verbundenen Zusatz von Hopfenölen eine Verbesserung erbringen. Dies ist jedoch in vielen Fällen geschmacklich auf Kundenseite (je nach Bierstil) nicht erwünscht.
– Das Pasteurisieren des Bieres (im Tunnelpasteur) kann das Gushingverhalten kurzzeitig verbessern, was jedoch nach 4–6 Wochen an Wirkung verliert.
– Außerhalb der deutschen Biergesetzgebung können „isomerisierte Hopfenprodukte“ Einfluss auf das Gushing ausüben. Während Iso-Extrakte bei unsachgemäßer Lagerung sogar Gushing auslösen können, vor allem als alleinige Hopfung spät im Prozess, d. h. nach der Filtration zugegeben, so kann eine ergänzende Gabe von Basisextrakt oder Pellets beim Würzekochen eine Verbesserung erbringen.
Gushing: Nach wie vor eine Herausforderung für die Industrie
Ein Problem, überhaupt Ursachen klar einkreisen zu können, ist das spätere Auftreten des Gushings nach der erfolgten Abfüllung. Weder sind alle Flaschen einer Charge betroffen, noch lassen sich vermeintliche Ursachen eindeutig identifizieren. Auch eine einheitliche Analyse von „Gushing-relevanten“ Stoffen gibt es nicht wirklich.
Zuletzt haben sich Prüfung des Malzes auf Gushing relevanten Mikroorganismenbefall, Überprüfung von Gerste, Weizen bzw. dem daraus hergestellten Malze auf Gushing-Neigung durch Schnelltests und die Vermeidung von befallenen Partien bewährt. Im Bier ist auf aufbessernde Maßnahmen in der Herstellung (s. o.) zu achten.
Zum Nachschlagen
Literatur
GJERTSEN, Poul: Gushing in Beer - its nature, cause and prevention
In: Brewers Digest 5 (1967), S. 80 – 84
LIGER-BELAIR, Gerard: Entkorkt! Wissenschaft im Champagnerglas
1. Auflage. München: Spektrum - Akademischer Verlag (Hrsg.), 2006
GUGGENBERGER, J.; KLEBER, W.: Über den Mechanismus des Wildwerdens von Bier
In: 9th European Brewery Convention Congress. Brüssel: European Brewery Convention (Hrsg.), 1963, S. 299 – 319
FRIEDEL, Lutz; PURPS, Stefan: Modelle und Berechnungsverfahren für die plötzliche Druckentlastung von Gas/Dampf-Flüssigkeits-Reaktionssystemen
In: Chemie Ingenieur Technik 56 (1984), S. 361 – 369
SCHUR, F.; ANDEREGG, P.; SENFTEN, H. ; PFENNINGER, H.: Brautechnologische Bedeutung von Oxalat.
In: Brauereirundschau 91 (1980), Nr. 12, S. 201 – 220
PELLAUD, Jérôme: Gushing: State of the Art
In: Cerevisia 27 (2002), Nr. 4, S. 189 – 205
HECHT, Dieter; HIPPELI, Susanne: Role of ns-LTP1 in the Development of Primary Gus- hing
In: BrewingScience (2007), Nr. 11 / 12, S. 1 – 9
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